Residenzen

#takeheart Residenzen 2023

Gemeinsam mit dem Fonds Darstellende Künste begleitet das NFT – Netzwerk Freier Theater die Residenzförderung #TakeHeart im Rahmen von NEUSTART KULTUR – dem von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) finanzierten Rettungs- und Zukunftspaket für den Kultur- und Medienbereich. Ziel der Residenzförderung ist es dabei, die für viele langjährig professionell arbeitenden Künstler*innen/-gruppen so wichtigen Verbindungen zu Tanz- und Theaterhäusern nachhaltig zu stabilisieren, weiterzuentwickeln und für die Zukunft zu stärken. Im Rahmen des Residenzprogramms #takeheart residieren im Zeiraum vom 1.1. bis 30.4. 2023 diese Künstler*innen in der Schwankhalle Bremen:

Gina V. D`Orio

»Let‘s have a Problem!«

Der Underground als Auffangbecken für künstlerische Positionen, die im Mainstream keinen Platz haben, ist bei genauer Betrachtung strukturkonservativ und patriachalisch. Die Recherche bringt persönliche Haltungen und Erfahrungen mit gesellschaftlichen und politischen Zusammenhängen in Beziehung, um feministische Positionen und künstlerische Strategien für die Zukunft zu entwickeln.

Gina V. D`Orio geb. 1976 in Berlin ist eine deutsche Musikerin und Produzentin. Sie spielte bei den Bands The Lemonbabies, Throw that Beat in the Garbagecan, EC8OR und ist Mitglied von Cobra Killer. Neben ihren Solo-Projekten und Kollaborationen mit internationalen KünstlerInnen (u.a. Francoise Cactus, Jorinde Voigt, Like a Tim, Thurston Moore, Sue De Beer) ist sie beteiligt an Theater-, Film- und Hörspielprojekten. Zu den Projekten der letzten drei Jahre zählen u.a. das Theaterstück »Geister. Séancen für das 21. Jahrhundert« von Manuel Muerte am Ballhaus Ost, die Performance »Wir reißen was« in Zusammenarbeit mit dem Kunst- und Kulturverein Kreuzberg/ Querformat b und ihre monatliche Radiosendung »Radio D‘Orio« bei Reboot.fm.

Christian Schulte/Doc Schoko

»Äußere Sprache: Pop-Collage«

Christian Schulte widmet sich in seinem Recherche-Projekt »Äußere Sprache: Pop-Collage« der Textgewinnung durch Zufallsexperimente und deren musikalische Weiterverarbeitung. Es wird untersucht, ob und welche Songstrukturen sich ergeben, wenn im Entstehungsprozess auf eigene Formulierungen und bewusste Intentionen zugunsten von Spielregeln und Intuition verzichtet werden.

Christian Schulte ist als Singer/Songwriter und als Musiker/Performer seit 1995 unter dem Pseudonym Doc Schoko aktiv und veröffentlichte 2021 sein fünftes Album auf Crocodile Tears Records. Seit 2010 ist er bei Theaterstücken von »Martin Clausen und Kollegen« beteiligt, vorwiegend in Kooperation mit dem Hau3 (Berlin). Das Kinderstück »Bettina bummelt«, in dem er mitwirkt, lief von 2010 bis 2020 im Theater an der Parkaue, seit 2022 ist es im Programm der Schaubude, Berlin zu sehen; in diesem Jahr auch auf dem Fusion Festival zu Gast. Das Science Fiction-Spiel »Berlin 2093« fand 2019 im Projektraum Zwitschermaschine (Berlin) statt, welches er als Mitglied der Künstlergruppe Parlant Papap konzipierte. Als Kurator und Künstler war er an (und auf) einer Lautsprecher-Skulptur von Benoit Maubrey beim Arena Finale, einem viertägigem Strassenfestival beteiligt. Unter dem Namen Herb Bitter produziert er Videoclips, zuletzt »Tanzende Hydranten« für die Lübecker Musikerin Greta Schloch.

Raymond Liew Jin Pin

»Peeping Moon«

Als Raymond jung war, dachte er seltsamerweise, dass er als zeitgenössischer Tänzer einmal in seinem Leben nackt auftreten muss - das sei echte Kunst. Aber bisher war er noch nie nackt auf der Bühne, weder als Tänzer noch in seinen eigenen Choreografien. Die Recherche zu diesem Thema wird in drei Erzählungen unterteilt und gruppiert sich um verschiedene Ebenen der Nacktheit.

Raymond Liew Jin Pin ist ein in Deutschland lebender malaysischer Choreograf und Performer. Während seiner Residenz am K3 | Tanzplan Hamburg 2019/20 setzte er sich mit traditionellen südostasiatischen Tänzen auseinander, um das zeitgenössische Stück »Kampung Baru (New Village)« zu kreieren. Davon ausgehend forscht er aktuell, wie sich die queere südostasiatische Diaspora bewegt. Zusammen mit seinem Partner Jascha Viehstädt arbeitet er an choreografischen Projekten wie z.B. »1000 Kisses« (produziert von explore dance - Netzwerk Tanz für junges Publikum).

Elianna Renner

»über das nicht sprechen«

über das nicht sprechen, ist eine Annäherung an das nicht (und nicht mehr) Sprechen von Überlebenden des Porajmos und der Schoa. Die Künstlerin Elianna Renner recherchiert und untersucht während der Residenz anhand zwei Lieder von der Überlebenden/Musikerin und Künstlerin Ceija Stojka und der ermordeten Widerstandskämpferin Hannah Szenes das nicht sprechen.

Elianna Renner arbeitet als Performerin und Künstlerin an der Schnittstelle von Biografie und Geschichte. In ihren Arbeiten hinterfragt sie historische Narrative und deren Auslassungen - mit dem Ziel, die hinter dem Vergessenen oder Verschwiegenen stehenden Machtverhältnisse sichtbar zu machen. Im Mittelpunkt stehen dabei immer wieder Geschichten von Frauen, die in den offiziellen Geschichtsschreibungen gar nicht oder nur am Rande auftauchen. Geschichte(n) macht sie als Konstruktionen wahrnehmbar, die sich je nach Erzähler*in neu darstellen. Renner versucht, den Wahrheitsanspruch von Geschichte als illusorisch zu entlarven, indem sie unter Einsatz von Performance, Film, Audio, Text und Installation Fiktives mit »Realem« verknüpft.
Seit Jahren arbeitet sie an Projekten im internationalen Kontext wie z.B. in New York, Buenos Aires, Tel Aviv und Frankfurt. Ihre Werke wurden in Ausstellungen im In- und Ausland gezeigt und sie erhielt zahlreiche Stipendien.

Leila Bakhtali

»The Horses are coming«

In »The horses are coming« untersucht Leila Bakhtali die Symbolik der Pferde, die Hoffnung und Mut vermittelt. LBMA-Analysen von Pferdebewegungen werden in Bewegungsscores umgesetzt. Wie können durch Transkription dieser, neue symbolische Bilder und Körperzustände erforscht werden, die relevant sind, in der gegenwärtigen Gesellschaft, die einen »state of emergency« kollektiv zu teilen scheint?

Leila Bakhtali (NL), wohnhaft in Bremen, absolvierte ihre Tanzausbildung an der Royal Ballet School Antwerpen sowie an der London Contemporary Dance School. Derzeit studiert sie Tanztherapie. Ihr jüngstes Solowerk, »Oh Mother«, wurde 2022, koproduziert von steptext dance project, in der Schwankhalle Bremen uraufgeführt. Eine andere aktuelle choreografische Arbeit ist »Wilder Wald; Tanz für die Allerkleinsten« produziert von K-Scheune. Leila’s choreografische Arbeit beschäftigt sich mit Themen wie die Beziehung des Menschen zur Natur und die Faszination der eigenen inneren Welt in Verbindung mit der aktuellen Gesellschaft. Yoga und die Feldenkrais-Methode bilden einen fruchtbaren Boden für die Erforschung ihrer Bewegungssprache und ihre Tätigkeit als Yogalehrerin. Für »Rebonico« von Neus Ledesma (Schwankhalle Bremen 2022) und »Unsterbliche Geliebte« von Beatrice Panero (Theater Ulm 2019) arbeitete sie als choreografischer und dramaturgischer support. Als Tänzerin war Leila Bakhtali zuletzt zu sehen in »Las Otras« von Neus Ledesma (Schaulust Bremen 2022). Von 2019 bis Anfang 2022 war sie Mitglied der Kompanie Of Curious Nature und hat verschiedene Werke von Choreographen wie Felix Landerer und Helge Letonja mitentwickelt.

Maral Müdok

»How to be a Lover?«

In der Recherchearbeit macht sich Maral Müdok auf die Suche nach der weiblichen Aşık, der Geschichtenerzählerin, der »Liebhaberin«, die es so nie geben konnte. Müdok experimentiert mit traditionellen und zeitgenössischen Klängen, führt Interviews mit Expert*innen und nimmt Kontakt zu Persönlichkeiten der Gegenwartskultur auf.
How to be a Lover? ist eine Hommage an die Dichterinnen Anatoliens.

Maral Müdok arbeitet in den Bereichen Video, Performance, Poesie und Zeichnung. 2016 erhielt sie ihren Bachelor in Visueller Kunst und Kommunikationsdesign in Istanbul und ist derzeit Kunst-Diplomandin an der HfG Offenbach. Sie beschäftigt sich mit kollektiven, individuellen und unbewussten Formen der Erinnerung und des Geschichtenerzählens und fühlt sich dazu hingezogen, gemeinsam Bedeutungen zu konstruieren, ohne sie notwendigerweise zu definieren oder strenge Erzählungen zu erstellen. Eine ihrer bemerkenswertesten Arbeiten ist »Mechanic‘s Helper«, die im Kunstverein Familie Montez (Frankfurt a.M., 2019) und später beim Performing Arts Festval OUTNOW! (Schwankhalle und Theater Bremen, 2021) gezeigt wurde. Das Stück befreit auf ironische Weise das kollektive Gedächtnis von Kategorien wie Klasse und Geschlecht und verfremdet die zeitlichen und geografischen Realitäten von Vergangenheit und Gegenwart. 2021 war sie Ko-Kuratorin des vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst geförderten Online-Festivals Bridges through my window, das durch Vorträge, Workshops und eine Online-Ausstellung verschiedene Positionen von Unterdrückung, Widerstand und Existenz zusammenbrachte. Im selben Jahr erhielt sie ein Stipendium des DAAD in Anerkennung ihres sozialen und interkulturellen Engagements. Neueste Arbeiten von ihr wurden in der Gruppenausstellung »SEMPF« im Magma Maria und »Aus heutiger Sicht. Diskurse über Zukunft« im MAK Frankfurt gezeigt.

Alice Ferl

»WORK/WERK«

Im Rahmen des Recherchevorhabens WORK/WERK erforscht Alice Ferl die Bedingungen künstlerischen Arbeitens aus zwei Perspektiven: WORK untersucht Veränderungen in den wirtschaftlichen und ökologischen Rahmenbedingungen und deren Auswirkung auf das künstlerische Produzieren. WERK unternimmt eine Neudefinition des Begriffs des künstlerischen Werkes jenseits individueller und linearer Biografien.

Alice Ferl studierte Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen und Reykjavík. Sie arbeitet als Performerin, Dramaturgin, Regisseurin und Sounddesignerin u.a. mit der finnischen Gruppe Oblivia und dem Performancekollektiv Monster Truck, sowie dem Künstler*innennetzwerk LUKAS UND zusammen, das sie bis 2021 leitete. Arbeiten, an denen sie beteiligt war wurden an zahlreichen Theaterhäusern und auf Festivals in Deutschland und international (Junge Hunde Festival Arhus (DK), Fringe Festival Beijing (CN), InTime Festival Chicago & Light Box Detroit (USA), Lagos Live Festival (NG)) gezeigt. In ihrer Heimatstadt Düsseldorf, wo sie mit ihrem Partner und drei Kindern lebt, ist sie als Sprecherin der Freien Szene sowie als Mitglied des Theaterbeirats aktiv und war mehrfach für den Förderpreis Darstellende Künste nominiert. Zuletzt entwickelte sie zusammen mit Stine Hertel und dem bureau baubotanik das 100 Jahre andauernde Format »THEATRE OF THE LONG NOW« das als Crossover-Projekt zwischen Performance, Architektur und Botanik in seinen urbanen Kontext eingreift. Aktuell ist sie in den Produktionen »Obsessions« und »Verdrängen, Verdrängen, Verdrängen« von Oblivia zu sehen.

FLEXEN Bremen

»flexing Bremen - eine feministische Recherche in der muscle memory einer Stadt«

Melmun Bajarchuu, Simone Ehlen, Adele*Mike Dittrich Frydetzki, Klara Lyssy, Anisha Müller

Das Team FLEXEN Bremen erforscht künstlerisch-kollaborativ Wissensformen um Bewegungs- & Erinnerungspraktiken. In Auseinandersetzung mit den wenig sichtbaren Geschichten von Widerstand in urbanen intersektionalen Bewegungen werden die Verbindungslinien zwischen Gesellschaft & Körper an ihren historischen Orten untersucht und dabei experimentelle Formen kollektiv verkörperten Erinnerns entwickelt.

Wir sind FLEXEN Bremen, ein interdisziplinär arbeitendes Team von Performer*innen, critical companions, D.I.Y. und D.I.T. Künstler*innen. Wir sind solidarisch verbunden in Kämpfen um Arbeitsbedingungen und Widerstand in den Zumutungen aktueller Repräsentationspolitiken in der Freien Szene und an Häusern der Stadt- und Staatstheater. Wir sind kein Kollektiv, arbeiten jedoch kollaborativ. Wir haben ein forschendes Interesse daran, wie (konsentorientierte) Zusammenarbeit möglich wird und dabei Differenzen nicht unsichtbar werden müssen.
Melmun Bajarchuu begleitet künstlerische Prozesse als kritisch-liebevolle Diskurspartnerin. Der Fokus von Adele Mike Dittrich Frydetzkis Arbeit ist queerfeministische Erinnerungsarbeit sowie softe Arbeitspraktiken und experimentelle, solidarische Organisationsformen. Klara Lyssy ist am Theater oft künstlerische Handwerkerin, die die Sorge für Bühne und Technik übernimmt. Sie möchte Arbeitsformen verändern und untersucht ihre Berufsfelder erweiternd, indem sie im Austausch darüber bleibt und an Arbeitsweisen rüttelt. Die Kunstvermittlerin Anisha Gupta Müller spezialisiert sich auf feministische Körperpraktiken und Formen der Antidiskriminierungspraxis an Kunsthochschulen. Ihre Arbeit wird von der Notwendigkeit angetrieben, die Überwachung von Körpern, sichere Räume und kritisches Weißsein zu diskutieren und zu konfrontieren. Simone Ehlen kreiert in ihren Performances interaktive, konsensuelle Begegnungsformate aus queerfeministischer Sicht und beschäftigte sich zuletzt mit dem Verqueeren von Familienbildern und -traditionen.