Ein Mensch mit Pappkopf und ein haariges, einäugiges Monster
Anna Chaney

»Audiodeskription
ist zu einer echten,
eigenen Kunstform geworden«

Interview mit Susanne Zaun (Dramaturgin) und Lydia Sasnovskis (künstlerische Beratung Audiodeskription)

Am 11. November bringt Mamoru Iriguchi sein Stück »What You See When Your Eyes Are Closed / What You Don’t See When Your Eyes Are Open« in der Schwankhalle zur Uraufführung. Wir haben mit der Dramaturgin Susanne Zaun und der künstlerischen Beraterin für die Audiodeskription, Lydia Sasnovskis, gesprochen. Über die Entstehung des Stücks, über die Kunst der Audiodeskription und darüber, was für sie eigentlich einen gelungenen Theaterabend ausmacht.

Liebe Susanne, liebe Lydia – mögt ihr kurz beschreiben, wer ihr seid und was eure Rolle in Mamoru’s Stück ist?

Susanne Zaun: Ich arbeite selbst als Regisseurin, Performance-Macherin und Autorin fürs Theater, aber eben auch immer wieder sehr gerne als Dramaturgin und »Outside Eye«. Ich würde tatsächlich sagen, dass ich den Begriff Outside Eye selten treffender finde als in der Zusammenarbeit mit Mamoru. Denn es ist oft so, dass er selbst auf der Bühne steht und Kostüme wählt, die es ihm nicht leicht machen, noch viel von dem mitzukriegen, was um ihn herum geschieht. Gleichzeitig bedient er nicht selten aus seinen Kostümen heraus die Technik und trägt auch noch einen Projektor auf dem Kopf – vieles, was sonst oft von außen gesteuert wird, kommt direkt von ihm. Er ist wirklich das Zentrum seiner Performances. Und deshalb ist er in seinen Probenprozessen sehr darauf angewiesen, ein weiteres Paar Augen und Ohren dabei zu haben.

Lydia Sasnovskis: In diesem Zusammenhang ist es glaube ich wichtig, als erstes zu erwähnen, dass ich fast seit meiner Geburt nahezu vollständig blind bin. Ich habe einen Seh-Rest, der sich auf hell und dunkel, also Lichtwahrnehmungen und Umrisse beschränkt. Ich habe beruflich gar nichts mit Kultur zu tun, sondern bin im Auswärtigen Amt als Sachbearbeiterin tätig. Ich würde mich aber schon als sehr kultur- und theaterinteressiert bezeichnen. Über eine private Freundschaft mit Susanne bin ich gefragt worden, ob ich mir vorstellen könnte, bei diesem Stück mitzuarbeiten – um meine Expertise und Eindrücke über andere Sinne als über das Sehen zu teilen. Und ich habe schon viel Erfahrung mit Audiodeskription, insbesondere aus dem Fernsehen, aber auch aus anderen Bereichen – aus dem Sport, aus dem Fußball, aus dem Kino. Ich glaube, ich war tatsächlich noch nie in einem Theater mit Audiodeskription. Aber ich kenne den Prozess und auch die Entwicklung der Audiodeskription in den letzten knapp 20 Jahren ziemlich gut.

Was macht denn nach deinem Verständnis eine gute Audiodeskription aus? Und was gibt es vielleicht für Annahmen über Audiodeskription, die gar nichts mit der Realität zu tun haben?

Lydia Sasnovskis: Audiodeskription hat sich in den letzten 20 Jahren sehr stark entwickelt und ist aus meiner Perspektive zu einer echten, eigenen Kunstform geworden. Da gibt es einige Regeln, die aufgestellt wurden, die zu beachten auch sehr wichtig ist. Es ist tatsächlich ganz entscheidend, dass Audiodeskription in den Pausen eingesprochen wird – also dann, wenn nicht parallel im Film oder auf der Bühne gesprochen wird und möglichst auch keine Geräusche zu hören sind, die für das Verständnis wichtig sind. Man muss also vorab ganz genau festlegen, wann was gesagt wird. Und daran ist schon gut erkennbar, dass es eben wirklich eine Kunstform ist und dass es sehr, sehr viel Aufwand bedarf, um eine Audiodeskription zu erstellen, die gut ist und einen Mehrwert hat.

Eine allgemeine Annahme über Audiodeskription ist, dass sie so sachlich und objektiv wie möglich sein sollte. Dass also beschrieben wird, was zu sehen ist, aber nicht schon bewertet wird. Das ist manchmal sehr, sehr schwer, aber es sollte eben, genau wie wenn man auf eine Szene draufschaut, die Freiheit geben, sich selbst ein Bild zu machen. Bei Mamorus Stück zum Beispiel bin ich mir aber nicht sicher, ob das durchgehend gewollt ist. Das ist in diesem Fall, weil Mamoru selbst die Audiodeskription erstellt, natürlich auch die Freiheit des Autors. Wenn es ein externes Team machen würde, hielte ich das für problematischer, weil das Team sich dann gegebenenfalls eine Interpretation anmaßt, die eigentlich ihm nicht zusteht.

Apropos Interpretation – worum geht es denn eigentlich in dem Stück?

Susanne Zaun: Ich würde sagen, dieses Stück hat so einen gewissen »Matroschka-Mechanismus«, eigentlich ist es ein Stück im Stück im Stück im Stück. Wir werden erstmal in eine Situation hineingeschleudert, in der eine Figur, eigentlich eine klassische Heldenfigur in Form eines Reporters mit Namen Mamoru, auf ein einäugiges Monster triff – Cyclops. Und diese beiden treffen immer wieder aufeinander. Die Heldenfigur berichtet über den Angriff dieses Monsters, wird gleichzeitig in den Angriff verwickelt, teilt das dem Publikum mit und stirbt dann während dieses Aufeinandertreffens. Und das passiert in verschiedenen Variationen mehrmals. Und irgendwann gibt es dann sehr viel mehr – obwohl wir immer nur zwei Performer auf der Bühne haben, gibt es mehr als zwei Personen. Das hat viel mit Doppelgängern und getauschten Identitäten zu tun. Aber wir werden auch Elvis und James Dean treffen, wir werden auf Mamorus Mutter treffen, wir werden auf seinen Ehemann treffen, der auch ein Bühnentechniker ist. Und all diese Identitätsebenen, die auch noch auf verschiedenen Realitätsebenen und Zeitebenen stattfinden, werden sich immer weiter ineinander schieben – so würde ich es beschreiben.

Lydia Sasnovskis: Ich finde diese Zusammenfassung geradezu perfekt! Mir selbst haben sich diese verschiedenen Ebenen tatsächlich erst nach mehrmaligem Zuhören erschlossen, was aber auch daran liegt, dass es ja noch ein sehr frühes Stadium des Stückes war. Und es hat sich deutlich gezeigt, dass die Audiodeskription eben auch sehr wichtig ist, um die verschiedenen Ebenen tatsächlich kennenzulernen, einzuordnen und zu verstehen.

Wir in der Schwankhalle werden den Titel dieses Stückes wahrscheinlich nicht so schnell wieder vergessen, weil er so schön und gleichzeitig unpraktisch lang ist: »What You See When Your Eyes Are Closed / What You Don‘t See When Your Eyes Are Open«. Wie ist denn euer Gefühl zu diesem Titel? Löst der sich für euch ein? Und wie interpretiert ihr ihn, bezogen auf das Stück?

Susanne Zaun: Also ich liebe diesen Titel auch, ich finde ihn tatsächlich sehr passend auf so einer metaphorischen, poetischen Ebene. Die Figuren und Performer-Egos arbeiten sich eigentlich die ganze Zeit an ihrem Sehen, Nicht-Sehen, Angeblickt-Werden, Wahrgenommen-Werden ab. Gleichzeitig geht es auch darum, was Live-Performance vor einem Publikum bedeutet und was einem da – und das meine ich gar nicht im Sinne eines klassischen »Sehen-Könnens« – auch »die Sicht versperren« kann und sie einem dann an anderer Stelle ganz unerwartet erhellt.

Und Lydia, wie geht es dir mit dem Titel? Was löst er bei dir für Assoziationen aus und funktioniert er für dich gut, um das Stück zu beschreiben?

Lydia Sasnovskis: Das tut er schon. Aus Perspektive meiner spezifischen Zielgruppe, würde ich, wenn ich den Titel lese, aber erstmal denken: Das spricht mich nicht an, weil ich einfach zu wenig darüber weiß. Meine Wahrnehmung ist so anders geprägt und zu so einem kleinen Prozentsatz über das Sehen, dass ich mit dieser Thematik gar nicht so viel anfangen kann. Und das erlebt natürlich jeder, der eine unterschiedliche Seheinschränkung hat, auch sehr anders. Manche Menschen haben überhaupt keine visuelle Wahrnehmung, andere – so wie auch ich – nutzen ihr Sehen zwar sehr intensiv, aber es ist natürlich so, dass der Sinn im Vergleich zum Hören, Riechen und anderen Wahrnehmungen sehr im Hintergrund steht. Doch das Stück hat auch ganz viele andere Aspekte und es geht mitnichten nur um das Mit-den-Augen-Sehen – es geht vielmehr um Wahrnehmung. Und dadurch wird es dann auch zu einem spannenden Thema, aus dem auch eine Gruppe, die eben nicht das Sehen als den vordersten Sinn ansieht, ganz ganz viel mitnehmen kann.

Noch eine letzte Frage, die ein bisschen weg von diesem konkreten Stück und mehr in Richtung Theater allgemein geht. Ich würde gerne von euch beiden wissen: Was macht für Euch eigentlich einen guten Theaterabend aus? Was macht euch Spaß im Theater und was vielleicht auch nicht?

Lydia Sasnovskis: Für mich macht Theater aus, mir eine Geschichte nahezubringen. Theater muss für mich in irgendeiner Form eine erkennbare Handlung haben. Es bringt für mich nichts, wenn es zu abstrakt ist und ich nicht erkennen kann, dass eine Geschichte dahinter steht oder eine Entwicklung oder was auch immer. Das hat naturgemäß für mich viel mit Sprache und Hören zu tun. Deswegen macht mir Theater mehr Spaß, je mehr Dialoge oder Monologe es gibt, je mehr gesprochen wird. In Abgrenzung dazu bin ich persönlich zum Beispiel überhaupt kein Fan von Tanzperformances. Da gibt es zwar inzwischen auch schon Audiodeskriptionen und bestimmt auch ganz fantastische… Ich denke nur, dass Tanz so ein spezieller Ausdruck ist, dass es mir dann auch nichts bringt, mir das zu beschreiben. Alles, wo viel Körpersprache und Körperausdruck im Vordergrund ist, würde ich sagen, macht mir nicht so viel Spaß.

Susanne Zaun: Wir haben uns die Frage natürlich auch gestellt – also ob das, was wir da machen, überhaupt interessant für nicht sehende Menschen ist. Und mir ist ein Gespräch mit Lydia eingefallen, an das sie sich – wie das dann manchmal so ist – selber gar nicht erinnert, während es für mich sehr tief im Gedächtnis geblieben ist. Da hat sie mir von einem Bekannten erzählt, der sich einmal bemüht hat, ihr sehr poetisch Farben zu beschreiben. Sie hat ihn dann irgendwann unterbrochen und gesagt: Du, ehrlich, es ist mir egal. Du musst dir keine weitere Mühe geben, es interessiert mich einfach nicht. Das ist mir irgendwie sehr nachhaltig im Gedächtnis geblieben und ich dachte daran dann auch häufiger in unserem Prozess: Welche Aspekte sind denn beschreibenswert, wo sind die Anker, um Menschen hinein zu holen, die erst mal an dem Thema per se kein Interesse haben? Welche Erfahrungsräume können wir schaffen und anbieten?

Aber noch mal zurück der Frage, was für mich Theater interessant macht. Bei mir ist es eher so, dass das Interesse an klassischer Handlung und Geschichte nicht so im Vordergrund steht wie bei Lydia. Ich interessiere mich, glaube ich, sehr stark für Situationen. Also: in welche Situation komme ich als Publikum hinein und was macht das mit mir? Und tatsächlich, das klingt jetzt ein bisschen cheesy, aber ich bin schon begeistert, wenn Theater und Performance mich überraschen kann. Oder wenn ich wirklich irgendwo reinkomme und es dann irgendwie gelingt, dass ich ganz anders rauskomme als ich erwartet habe, das schätze ich schon sehr. Und Humor!

Das Interview führten Anna K. Becker und Janna Schmidt

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